Wie zuverlässig ist KI?

Studie zur Delirprognose mit clinalytix am HDZ NRW

Um die Zuverlässigkeit von KI-Modellen zu erforschen, wird am Institut für Anästhesiologie und Schmerztherapie des Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW) in Bad Oeynhausen eine Studie durchgeführt, bei der die frühzeitige Erkennung eines Delirrisikos mithilfe von Künstlicher Intelligenz mit der im Klinikstandard etablierten präoperativen Risikostratifizierung mittels Checkliste verglichen wird.

Das postoperative Delir ist eine schwere Komplikation operativer Versorgung. Dem mehr Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen, hat sich das Institut für Anästhesiologie und Schmerztherapie am Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW) in Bad Oeynhausen unter Leitung der Institutsdirektorin Univ.-Prof. Dr. Vera von Dossow zur Aufgabe gemacht. „Die bisherige Forschung unterstreicht die negativen Auswirkungen eines postoperativen Delirs: längere intensivmedizinische Betreuung und Klinikaufenthalt, erhöhte Mortalität, schlechteres kognitives Outcome mit potenziell bleibenden Defiziten sowie ökonomische Konsequenzen, die sich aus dem deutlich erhöhten Ressourcenaufwand sowohl in der postoperativen Betreuung als auch in der Rehabilitation ergeben“, fasst Janis Fliegenschmidt, Medizinstudent an der Ruhr-Universität Bochum, die Auswirkungen eines Delirs zusammen. „Die frühzeitige Erkennung eines Delirrisikos und entsprechender Frühsymp­tome können helfen, die Inzidenz des manifesten Delirs zu reduzieren“, so der Doktorand des Instituts für Anästhesiologie am HDZ NRW.

Die Herausforderungen im Management des postoperativen Delirs liegen hauptsächlich darin, die Frühzeichen zu erkennen. In der Regel ist dazu eine aufwendige Diagnostik nötig. „Wir glauben, dass Künstliche Intelligenz, kurz KI, als niedrigschwellig einsetzbares, hochverfügbares Instrument in der klinischen Routine einen wichtigen Beitrag zur Detektion von Delir-Risikopatienten in der präoperativen und zur Detektion von Delir-Risikokonstellationen in der postoperativen Phase leisten kann“, so Fliegenschmidt.

Software versus Fragebogen

Um diese Annahme zu evaluieren, hat der Doktorand genau das zu seinem Promotionsthema gemacht: Die Anwendung eines KI-Modells in der klinischen Routine zur Detektion eines postoperativen Delirs bei kardiochirurgischen und kardiointerventionellen Patienten. Als Lösung dient ihm dabei die KI-basierte Entscheidungsunterstützung clinalytix von Dedalus HealthCare.

„Wir wollen in einer sechsmonatigen monozentrischen, prospektiven Observationsstudie mit über 100 Patienten die Anwendbarkeit der KI zur Prädiktion des postoperativen Delirs untersuchen, und zwar vom letzten prä- bis zum dritten postoperativen Tag. Identifiziert werden die Risikopatienten anhand klinischer Daten aus dem Krankenhaus-Informationssystem ORBIS“, erläutert Fliegenschmidt seine Forschung. Die KI tritt dabei in den Wettbewerb mit der im HDZ bereits als Klinikstandard etablierten präoperativen Risikostratifizierung mittels Checkliste zur Erfassung publizierter Risikofaktoren.

Früherkennung verbessert Prognose

Fliegenschmidt hat sich von zwei Tatsachen zur Studie motivieren lassen. Zum einen steigt die Zahl der älteren, multimorbiden Patienten, zum anderen ist das Thema „Künstliche Intelligenz“ im Bereich der medizinischen Versorgung weiterhin mit Stigmata behaftet. Gestützt wird die erste Aussage durch Fakten: Heute werden bereits etwa 15 Prozent der Herzoperationen an Über-80-Jährigen durchgeführt, die über entsprechend eingeschränkte Ressourcen verfügen. Umso wichtiger ist das Management rund um einen Eingriff, damit der Patient bestmöglich genesen kann. „Um das zu gewährleisten, müssen wir frühzeitig wissen, ob und in welchem Maße der Patient delirgefährdet ist. Dann könnten wir frühzeitig, im Idealfall bereits vor Beginn der OP, entsprechende Vorkehrungen treffen“, sagt Fliegenschmidt.

Das Ziel eines herzchirurgischen Eingriffs ist, dass es dem Patienten postoperativ hinsichtlich seiner kognitiven Fähigkeiten genauso gut geht wie vor der OP. „Wir wissen, dass das postoperative Delir ein unabhängiger Risikofaktor mit relevantem Einfluss nicht nur auf das postoperative Überleben, sondern insbesondere auch auf die Überlebensqualität ist. Das meint die Lebensqualität nach dem Eingriff, die etwa durch andauernde kognitive Einschränkungen, eine erhöhte Pflegebedürftigkeit oder eine eingeschränkte Mobilität gekennzeichnet sein kann“, so Fliegenschmidt.

Grundsätzlich sieht die Arbeitsgruppe ein besonderes Potential bei der Anwendung KI-basierter Lösungen: Sie arbeitet autonom mit Auswertungen dokumentierter Daten. Das erspart dem interdisziplinären Behandlungsteam die aufwendige manuelle Erhebung und Übertragung in einen Fragebogen sowie die anschließende Auswertung und Gewichtung. „Das würde die Stationen erheblich entlasten und es uns ermöglichen, ein entsprechendes Screening deutlich effektiver einzusetzen, auch auf peripheren Stationen, am besten dreimal jeden Tag. Das ist ohne IT-Unterstützung nicht leistbar“, erwartet sich Janis Fliegenschmidt eine bessere Patientenversorgung durch die Nutzung von KI.

Artikel vom 24. November 2021