MDK-Reformgesetz

MDK-Reformgesetz und ambulante Leistungserbringung

Das MDK-Reformgesetz, das am 1.1.2020 in Kraft trat, schuf die Grundlage für die Überarbeitung des AOP-Kataloges. Seit April 2022 liegt nun auch das Gutachten der IGES vor, das eine neue Systematik für die ambulanten Operationen und Leistungen vorschlägt. Dr. Kerrin Schillhorn, Fachanwältin für Verwaltungsrecht und Medizinrecht, erläutert in diesem Artikel die Identifizierung des ambulanten Potenzials und die nötigen neuen Dokumentationserfordernisse und diskutiert die Durchführbarkeit des vorgeschlagenen Ansatzes.

Mit dem MDK-Reformgesetz, das bereits am 1.1.2020 in Kraft getreten ist, wurde neben einer Reihe von wesentlichen Änderungen für die Überprüfung von Krankenhausabrechnungen auch die Grundlage für die Überarbeitung des AOP-Kataloges geschaffen. Dabei ging der Gesetzgeber von einem erheblichen Ambulantisierungspotenzial aus, das in einem neuen AOP-Katalog abgebildet werden sollte. Die Selbstverwaltungspartner waren aufgefordert, ein Gutachten zur Überarbeitung des AOP-Kataloges einschließlich der Vergütungsregelungen in Auftrag zu geben. Die Selbstverwaltungspartner sind diesem Auftrag des Gesetzgebers nachgekommen und haben ein Gutachten bei der IGES mit den folgenden Aufgaben in Auftrag gegeben: „Den Stand der medizinischen Erkenntnisse über ambulant durchführbare Operationen darzustellen, stationsersetzende Eingriffe und stationsersetzende Behandlungen zu untersuchen und konkret zu benennen, den AOP-Katalog zu erweitern.“

Dieses Gutachten liegt seit April 2022 sowohl in der Kurz- als auch in der Langfassung vor und bildet einen neuen Ansatz zur Identifizierung und Vergütung von ambulant erbringbaren Leistungen ab. Denn mit diesem Gutachten wird eine neue Systematik der ambulanten Operationen bzw. ambulanten Leistungen vorgeschlagen. Neben die stationäre Durchführung der Operationen bzw. Leistungen soll eine ambulante Durchführung treten, die nach dem potenzialorientierten Ansatz ermittelt wird. Dieser Ansatz ist darauf ausgerichtet, alle Operationen bzw. Leistungen, die grundsätzlich ambulant erbringbar sein können, als ambulantes Potenzial zu identifizieren.

Auf einer nächsten Stufe werden die Operationen und Leistungen danach unterschieden, ob sie mit einem zusätzlichen peri-/postoperativen Versorgungsbedarf verbunden sind. Dieser soll nach Kontextfaktoren wie Operationskomplexität, besonderem Betreuungsbedarf, Frailty und sozialen Begleitumständen bestimmt werden. Daneben soll der Diagnosekontext zu beachten sein. Hierbei geht es um die Kategorisierung spezifischer Haupt- und Nebendiagnosen der ICD, die bei ambulanter Durchführung einen erhöhten peri- bzw. postoperativen Versorgungsbedarf begründen.
Zusätzlich wird ein besonderes Dokumentationserfordernis etabliert, um die stationäre Durchführung oder die erhöhten Versorgungsaufwände – mit entsprechender Schweregradvergütung – abzubilden und nachvollziehbar machen zu können.

Dabei erkennt die IGES, dass eine generelle Kategorisierung von OPS-Leistungen als ambulant durchführbar nicht möglich ist. Denn die ambulante Durchführung von OPS-Leistung hängt vom jeweiligen Behandlungskontext ab, kann variieren und sich teilweise stark unterscheiden. Zu diesem Zweck hat die IGES die sogenannte Kontextprüfung entwickelt, die zwei Kategorien von Kontextfaktoren umfasst. Hierzu gehören zum einen die individuellen Patientencharakteristika, d.h. z.B. alters- oder komorbiditätsbedingte Risiken einer Leistung, und zum anderen die leistungsspezifischen Kontextfaktoren, die nach Diagnose/Indikation sowie weiteren operativen und nicht operativen Maßnahmen, die für denselben Behandlungsfall durchgeführt werden, bestimmt werden.

Dabei soll jeder Kontextfaktor für sich genommen ausreichen, um eine stationäre Durchführung der Leistung begründen zu können. Es soll keine Hierarchisierung oder Kumulation bzw. Verrechnung einzelner Faktoren gelten; d.h. das Vorliegen bereits eines Kontextfaktors soll geeignet sein, eine stationäre Durchführung der Operation bzw. Leistung zu begründen. Wesentlich soll dabei sein, dass bei der Ausweitung der ambulanten Durchführungsmöglichkeiten die Patientensicherheit gleichwohl gewährleistet bleibt.

Zu den leistungsbezogenen Faktoren gehören insbesondere der stationäre Behandlungskontext gemäß der DRG, die Kombination mit Nichtoperativleistungen gem. OPS-Klassifikation, die Beatmung oder die komplexe Kombination von AOP-Leistungen. Bei den patientenbezogenen Faktoren werden wieder besonderer Betreuungsbedarf, der Diagnosekontext und komplexe Komorbiditäten ebenso berücksichtigt wie die Frailty und die sozialen Begleitumstände.

Die IGES sieht vor, dass die Angemessenheit der stationären Durchführung von AOP-Leistungen sowohl ex ante durch den behandelnden Arzt als ex post durch den MD durchgeführt werden, wobei die Prüfung durch den MD letztlich maßgeblich sein soll. Die Kontextprüfung entfällt, wenn die Leistung ambulant durchgeführt wird.

Entsprechend der Schweregraddifferenzierung der ambulanten Operationen und Leistungen soll die Vergütung auf der Grundlage des mit der Leistung verbundenen Aufwands erfolgen. Dabei sollen die Faktoren medizinisch erforderliche präoperative Versorgung oder Nachbetreuung, postoperative Nachsorge im Anschluss an durchgeführte Operationen und Eingriffe und aufwandsrelevante zusätzliche Nachbetreuungs- und Nachsorgeleistungen berücksichtigt werden. Auch hier gilt, dass für die Schweregraddifferenzierung ein Faktor ausreicht, um den erhöhten Versorgungsbedarf zu begründen.

Insgesamt lassen sich die Empfehlungen der IGES wie folgt zusammenfassen:

  • System der fallindividuellen Kontextprüfung
  • Ausgestaltung als algorithmisier- und automatisierbare Umsetzung auf Basis routinemäßig erhobener Basisdaten
  • Rationalisierung und Verschlankung der Prüfpraxis, um Streitfälle zu minimieren
  • Entwicklung eines Ambulantisierungsgroupers auf der Basis des IGES-Konzeptes der Kontextprüfung sowie dessen Fortschreibung

Der neue AOP-Katalog einschließlich der Vergütung ist durch die Selbstverwaltungspartner zu vereinbaren und vom BMG zu genehmigen. Dabei schlägt das IGES eine stufenweise Umsetzung vor, sodass zunächst nur Leistungen, die bereits GKV-Leistungen sind und die ohne zusätzliche Nachsorge und ähnliches erbracht werden können, Eingang in den AOP-Katalog finden. Die zeitliche Abstufung soll nach leistungsspezifischem Ambulantisierungspotenzial und tatsächlich ambulanter Durchführbarkeit der Leistung vorgenommen werden.

Diese Ansätze des IGES sind theoretisch hochinteressant und gut durchdacht. Ob sie allerdings die Handhabbarkeit der Abgrenzung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung wirklich vereinfachen, erscheint offen. Auch wird zu klären sein, durch wen die neu als ambulant erbringbar zu qualifizierenden Leistungen erbracht werden (können). Denn nach der ersten Analyse der IGES fällt ca. ein Viertel aller derzeitig stationären Leistungen unter das identifizierte Ambulantisierungspotenzial. Ob diese Leistungen vollständig im ambulanten Sektor erbracht werden können oder ob die freiwerdenden Kapazitäten des stationären Sektors für die Durchführung von – vor allem komplexen – ambulanten Operationen und Leistungen genutzt werden können bzw. müssen, wird noch zu entscheiden sein. Vieles spricht dafür, dass durch den von der IGES entwickelten Ansatz auch die bisher geltende strenge Sektorentrennung nochmals überdacht werden muss.

Artikel vom 9. November 2022